Sorgenfalten bei Ostschweizer Hochschulen werden tiefer

Die Schweizer Forschung sieht sich als Geisel in einem politischen Spiel. Die Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen wählte drastische Worte in ihrer Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen. Der Forschungsplatz Schweiz bekommt die Folgen des Abbruchs unmittelbar zu spüren.

Für die internationale Forschungszusammenarbeit ist die Schweiz seit jeher eine gute Adresse. Schweizer Froschende beteiligen sich rege an internationalen Forschungsprojekten, 7 Schweizer Universitäten sind Stammgäste unter den weltweit besten 200 Universitäten und die Schweiz hat eines der besten Forschungssysteme überhaupt. Die Stärken des Schweizer Hochschulplatzes sind eng mit der internationalen Ausrichtung der Forschung verknüpft, welche durch die gescheiterten Verhandlungen um das Rahmenabkommen gefährdet wird. Denn galt die Schweiz beim ausgelaufenen EU-Forschungsprogramm «Horizon 2020» noch als voll assoziiert, wird sie beim Nachfolger «Horizon Europe» nur noch als nicht assoziierter Drittstaat teilnehmen können. Die Gespräche über die Assoziierung wurden von der EU an den Erfolg des Rahmenabkommens geknüpft und konsequenterweise nicht aufgenommen.

Weniger Fördermittel – sinkender Einfluss

Die Auswirkungen dieser Abstufung sind unmittelbar spürbar. «Schweizer Forschende und Unternehmen können europäische Projekte nicht mehr koordinieren», sagt Prof. Dr. Priska Sieber, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kreuzlingen. Im Rahmen von «Horizon 2020» hätten 1185 wissenschaftliche Projekte unter Schweizer Leitung stattgefunden. Diese seien zu 40% mit Fördermitteln aus den ERC-Grants der EU gefördert worden – mehr als eine Milliarde Franken Fördermittel, die nun unerreichbar werden. «Ein Projekt zu koordinieren bedeutet, die zukünftigen Prioritäten der europäischen Forschung mitzubestimmen und damit die Entwicklung des Forschungs- und Innovationsraums auf kontinentaler Ebene zu gestalten», so Sieber. Doch nicht nur die Hochschulen seien von der Abstufung betroffen, sondern auch die KMU und die Industrie.

Standort Schweiz verliert Attraktivität

Fast 25% der in Horizon 2020 geförderten Schweizer Projekte wurden von KMUs geleitet, ein Anteil, der auf 36% steigt, wenn man die Industrie mit einbezieht. «Diese direkte Förderung hat kein äquivalentes Instrument in der Schweiz», sagt Sieber. Die Entwicklung und Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen speziell für KMUs und die Industrie dürfte nun schwieriger werden. Generell schadet die Nichtassoziierung dem Schweizer Wirtschaftsstandort. Die Attraktivität und Innovationskraft des Schweizer Forschungsplatzes wird dadurch wesentlich geschwächt, wodurch die Schweiz im internationalen Standortswettbewerb an Boden verliert. Bereits jetzt zeichnen sich schädliche Tendenzen in dieser Richtung im Forschungsbetrieb ab.

Mit Rahmenabkommen Anschluss wiederherstellen

«Schweizer Forschende werden teilweise von neuen Projekten sicherheitshalber ausgeschlossen, da ihre Teilnahme nicht garantiert werden kann», sagt Eva Tschudi von der Fachhochschule OST. Von der OST seien momentan noch einzelne Institute an mehreren laufenden EU-Projekten und neuen Projektanträgen beteiligt. Allerdings habe man schon während der letzten Assoziierungsposse um «Horizon 2020» eine Halbierung des internationalen Forschungsvolumens in der Schweiz feststellen können. Die Auswirkungen der anfänglichen Nicht-Assoziierung der Schweiz bei «Horizon 2020» seien auch bei der Mobilität von Studierenden sowie Forschenden – Stichwort «Erasmus+» – spürbar gewesen, was zu beidseitigem Knowhow-Verlust geführt habe. Prof. Dr. Sieber folgert, dass die Schweizer Regierung alles daran setzen müsste, ein Rahmenabkommen abzuschliessen, welches die EU als Bedingung für eine volle Assoziierung der Schweiz stellt. Die Drittklassigkeit der Schweiz im europäischen Forschungsbetrieb dürfte sich langfristig negativ auf die Schweizer Wirtschaft auswirken. Wenn der Schweiz der Nachwuchs an Toppersonal fehlt, wird die Innovation und Forschung in Zukunft leiden.

Prof. Dr. Sieber, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kreuzlingen, ist besorgt über die langfristigen Folgen der ausbleibenden Assoziierung der Schweiz bei «Horizon Europe».

Artikelreihe zum Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen der Schweiz mit der EU

Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat die Verhandlungen mit der Europäischen Union um ein Rahmenabkommen definitiv für beendet erklärt. Die 2013 aufgenommenen Verhandlungen, an deren Erfolg die Europäische Union verschiedene hängige Verhandlungen und Abkommen knüpfte, sind somit gescheitert. Da bisher keine Alternativlösung präsentiert wurde, sehen sich Wirtschaft und Wissenschaft mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Als Stimme der Exportwirtschaft beleuchten wir diese in einer Artikelreihe näher. Im letzten FOKUS haben wir die Situation in der Medtech-Branche aufgezeigt. Diese kämpft seit Ende Mai mit steigenden Kosten durch zusätzliche bürokratische Hürden, nachdem die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen zwischen der Schweiz und der EU aufgehoben wurde. In der nächsten Ausgabe des FOKUS wird es dann um die Auswirkungen des Verhandlungsabbruchs auf den Strommarkt gehen.

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